#27 Veränderungsprozesse in Gemeinden

Unser heutiger Gast ist Frank Fischer. Er ist schon eeeewig bei Zwischenraum dabei und Experte auf dem Gebiet Kommunikation und
Veränderungsprozesse. Wir sprechen über

die Phasen von Veränderungsprozessen und welche Typen sich darstellen. Dabei nehmen

wir Bezug zu Beispielen christlicher Gemeinden, welche sich mit queeren Themen auseinan-dersetzen und "Willkommensgemeinden" werden wollen. Wie kann das schief gehen
und wie kann es gelingen? Das hört ihr „in diesem Talk – viel Spaß dabei!


Klarwunder? Warum der Name?

 

Klar glaube ich an Wunder, schließlich bin ich überzeugter Christ.

 

Aber ein Wunder ist eben nur dann ein Wunder, wenn es nicht der Normalfall ist.

 

Ich glaube fest daran, dass Gott Männer durch ein Wunder frei von ihren homosexuellen Gefühlen machen kann.

 

Aber da ich nicht zu denen gehöre, die dies Wunder in den vergangenen 40 Jahren erlebt haben, lebe ich jetzt bewusst und glücklich als schwuler, evangelikaler Christ!


Stichwort "Wunder":

"Was ist ein echtes Wunder? Das außer-
ordentliche Eingreifen Gottes in unsere Welt von Raum und Zeit, von Energie und Materie.

Es ist somit eine besondere Offenbarung, das überaus eindrückliche Sprechen Gottes."

                                                           Paul Müller


"Schwuler, evangelikal geprägter Christ - d.h. ich glaube an Jesus Christus! Er macht den Unterschied - er befreit zur Freiheit!" - das stand viele Jahre als Headline im meinem Profil "Klarwunder", das ich in einem der großen sozialen Netzwerke für Schwule habe.

 

Ich habe das Profil vor 21 Jahren angelegt, um homosexuellen Männern von Jesus erzählen zu können und um mit anderen homosexuellen Christen ins Gespräch zu kommen. Beides ist viele Male geschehen. Gott hat das Profil sehr gesegnet.

So hat ein Bekannter meinen Namen in einen Graffiti umgesetzt. Danke Marco


 The Healer

 

So hat mich ein Bekannter gesehen, gezeichnet und das Bild "The Healer" betitelt. Danke "Rare".


 Mein Artikel für die Zwischendrin-Ausgabe "Veränderung" zum Kirchentag in Stuttgart 2015*:

Der „Exodus“ ist vorbei – der „Weg“ ist neu!

Veränderungen, die mehr als nur Randnotizen sein sollten

 

Wer heute – im Herbst 2015* – bei Wikipedia Exodus International“ eingibt, der liest als drittes Wort „war“! Die weltweit größte Organisation der Ex-Gay-Bewegung ist Geschichte. Aber leider hat sich das noch nicht überall herumgesprochen – und der Geist von „Exodus International“ wabbert immer noch durch die evangelikale Szene und einige evangelische Gemeinden in Deutschland. Dabei wäre es an der Zeit, die Zeichen richtig zu deuten.

 

Gut 37 Jahre lang haben die Verantwortlichen von „Exodus International“ unzähligen homosexuellen Christinnen und Christen verkündet, durch reparative Therapien, Gebete und die „Kraft des Herrn Jesus Christus“ könne ihre sexuelle Identität verändert werden. Dann kam im Juni 2013 der Paukenschlag auf einer großen Exodus-Konferenz: Alan Chambers, Präsident von „Exodus International“, löste die Organisation auf und entschuldigte sich live - und dann auch in einem offenen Brief - für den Schaden, den er und die Organisation bei homosexuell empfindenden Menschen angerichtet habe.

 

„I am sorry!“ – „Sie sollen wissen, dass es mir zutiefst leid tut. Ich entschuldige mich für das Leiden und die Verletzungen, die viele von ihnen erleiden mussten“, schrieb er. Eine Entschuldigung am Ende eines Irrwegs, der 1976 begonnen hatte. Jahrzehntelang haben die Anhänger von „Exodus International“ die Idee verbreitet, „gleichgeschlechtliche Liebe sei heilbar" – nach eigenen Angaben nicht nur in den USA und Kanada, sondern auch in 17 weiteren Ländern der Welt – unter anderem auch in Deutschland.

 

37 Jahre lang in 19 Ländern – mit der offiziellen Bilanz, nur „einigen hunderte Frauen und Männern geholfen zu haben“. Exodus hat bis zur Auflösung keinerlei Angaben gemacht, auf welchen Quellen diese Zahlen beruhen oder ob und wie der Erfolg ihrer Programme gemessen wurden. Aber selbst, wenn es 999 wären, denen sie im Laufe der Jahre geholfen haben (was auch immer das heißt?) klingt diese Zahl nicht nach einem durchschlagenden Erfolg, sondern nach wundersamen Ausnahmen – statistisch gesehen sind das 1,4 Menschen pro Jahr und Land.

 

37 Jahre lang in 19 Ländern – mit der Bilanz, dass immer wieder führende Mitglieder (u.a. eines der fünf Gründungsmitglieder, nämlich Michael Bussee) „Exodus International“ verlassen haben, um ihre homosexuelle Identität zu leben. 2007 haben sich diese ehemaligen führenden Mitglieder für den Schaden entschuldigt, den sie angerichtet haben.

 

37 Jahre lang in 19 Ländern – mit der Bilanz, dass selbst der 1988 zur Exodus-Galionsfigur gemachte John Paulk im Herbst 2000 in einer Schwulenbar beim Flirten mit einem Mann ertappt wurde. Seine Bücher „Umkehr der Liebe“ und „Ich war schwul“ (2000 und 2001! auf deutsch erschienen) haben vielen Gemeinden Argumente für die Heilung homosexueller Menschen – und homosexuellen Christinnen und Christen Hoffnung – gegeben. Im Mai 2013 gab John Paulk zu, dass die Konversion nicht erfolgreich war und er immer noch homosexuell sei. Er distanzierte sich von seinen früheren Äußerungen.

 

Hoffnung und eine durch Angst erzeugte Kultur des Verschweigens und der Unehrlichkeit – anders lässt es sich nicht erklären, dass es so lange gedauert hat, bis es zu einer Veränderung kam. Gott sei Dank war es 2013 soweit.

 

„Es ist eigenartig, jemand zu sein, der selbst durch die kirchliche Behandlung der LGBT-Community geschädigt wurde, aber gleichzeitig jemand zu sein, der sich dafür entschuldigen muss, dass er Teil dieses ignoranten Systems war.“ (Alan Chambers)

 

Die Veränderung zieht Kreise – „Exodus International“ steht nicht allein da. Bereits 2000 änderte EX-Gay-Bewegung „Courage“ ihren Kurs und bekannte sich zu einem neuen, Homosexualität grundsätzlich bejahenden Ansatz. Als Grund für diesen Kurswechsel gab sie die Verzweiflung an, die sich ihrer Meinung nach unter zahlreichen homosexuellen Christen breit gemacht hätte, die eine „Überwindung“ ihrer Homosexualität durch den Glauben suchten und daran scheiterten. „Courage“, im Februar 1988 von Jeremy Marks gegründet, war eine der führenden christlichen Ex-Gay-Organisationen in Großbritannien und Mitglied von Exodus International. Die Indizien mehren sich auch in den anderen Ex-Gay-Bewegungen – führende Mitglieder treten aus, leben ihre homosexuelle Identität oder heiraten ihren Partner wie zum Beispiel John Smid, der früher die „Ex-Gay“-Gruppe „Love in Action“ angeführt hat. Christian Schizzel, der jahrelang in der Öffentlichkeit für die "Heilung" von Homosexuellen geworben hat, galt als Musterbeispiel eines "erfolgreich geheilten" Homosexuellen. Im Dezember 2014 geoutet er sich als schwul und erklärte, er wolle nicht länger eine "Waffe" sein, die gegen andere Homosexuelle eingesetzt werde. In einem Interview erzählte er, wie er von seinen homophoben Glaubensbrüdern manipuliert wurde. Ziel war es, Homosexuellen einen Weg der Heilung durch Glaube und Seelsorge anzubieten.

 

„Ich bin zu der Erkenntnis gekommen, dass wir uns geirrt haben, gleichgeschlechtliche Liebe als sündhaft zu verwerfen.“ (Jeremy Marks)

 

Es ist ein bisschen so, als brechen überall Knospen auf, aber weil nicht sein kann, was nach der Meinung vieler evangelikaler Christen nicht sein darf, wird weiter behauptet, es sei tiefster Winter.

 

Wechseln wir nach Deutschland: Im vergangenen Jahr erschien ein kleiner Artikel in der Stuttgarter Zeitung, der Dank der sozialen Medien, weite Verbreitung fand – und der in meinen Augen ein Indiz dafür ist, dass auch bei uns Veränderungen im Gange sind.

 

2. Juli 2014 – „Die am vergangenen Samstag gegründete ‚Bruderschaft des Weges’ will sich bewusst zwischen die Stühle setzen: man wolle weder als Schwulenhasser im Namen Gottes von sich reden machen, noch wolle man Homosexualität und christlichen Glauben zusammenbringen – ‚wir sind sperrig’, sagt Stefan Schmidt aus Tamm, der selbst eines der 16 Mitglieder der Bruderschaft ist.“ Ein anderes Mitglied der „Bruderschaft des Wegs“ ist Markus Hoffmann.

 

Weiter heißt es in dem Artikel: „Die Mitglieder der Bruderschaft definierten sich selbst nicht als schwul, sondern als ‚Mann, der sich zu bestimmten Zeiten zu Männern hingezogen fühlt’.“ Und: „Teil der Bruderschaft seien elf evangelische und fünf katholische Männer, ‚die alle im Laufe ihres Lebens homosexuelle Empfindungen haben oder hatten’, die diesen Empfindungen aber aus religiösen Gründen kritisch gegenüberstünden. Ein Anliegen der Gruppe sei es deshalb, diese schwulen oder lesbischen Neigungen nicht auszuleben und Enthaltsamkeit zu geloben.“

 

Keine Rede mehr von „Heilung von Homosexualität“, und die Formulierungen, die Stefan Schmidt und Markus Hoffmann der Zeitung gegenüber wählen, erwecken den Eindruck von einem Rückzug ohne Gesichtsverlust – besonders, wenn man sich an frühere Äußerungen der beiden erinnert. Markus Hofmann und Stefan Schmidt – die meisten homosexuelle Christinnen und Christen kennen ihre Namen und bringen sie mit „Wuestenstrom“ in Verbindung, also mit der Organisation, die viele Jahre in Deutschland exemplarisch für die Heilung von homosexuellen Christen stand – und die in Gesprächen mit Christen aus evangelikalen Gemeinden noch immer als Beweis für die Möglichkeit der Heilung von Homosexualität angeführt wird.

 

„Wuestenstrom“ – bei Wikipedia heißt es: „Hoffmann widmet sich seit dem Jahr 1997 in Vollzeit der Arbeit mit Wuestenstrom. Im Jahr 2000 wurde Wuestenstrom ein eingetragener Verein.“

 

Und zur Geschichte von Wuestenstrom heißt es: „1990 erhielt Günter Baum den Auftrag, in Deutschland als Angestellter des christlich diakonischen Vereins Elops aus den USA die Living–Waters–Seelsorgeinitiative "Wuestenstrom" (genannt nach Andrew Comiskeys Desert Stream Ministries) als Arbeitszweig von Elops aufzubauen, wofür er von Comiskey offiziell eingesetzt wurde. In den nächsten Jahren entstanden in Deutschland durch Baums Arbeit einige Living–Waters–Gruppen. Unabhängig davon arbeitete Diplom-Sozialarbeiter Markus Hoffmann nach einem vorläufigen Selbsthilfekonzept mit einer Gruppe von homosexuellen Männern an einer Veränderung ihrer sexuellen Orientierung. 1994 trafen Baum und Hoffmann auf einem internationalen Symposium zusammen, daraus entwickelten sich Pläne für eine gemeinsame Arbeit.“

 

Günter Baum hat sich noch vor der Jahrtausendwende von „Wuestenstrom“ distanziert und 2003 Zwischenraum ins Leben gerufen.

 

Zurück zu Wuestenstrom: Im Artikel aus der Stuttgarter Zeitung lautet eine Zwischenüberschrift „Distanzierung von Wuestenstrom-Vergangenheit“ – womit eben das gemeint ist, was viele evangelikale Christen offensichtlich als erstes mit „Wuestenstrom“ in Verbindung bringen, nämlich die Heilung von Homosexualität durch Living-Waters-Kurse, Gebet und Konversionstherapien.

Unter dieser Überschrift „Distanzierung von Wuestenstrom-Vergangenheit“ liest man dann:

„Sprecher der Gruppe ist Markus Hoffmann, Leiter des Instituts für dialogische und identitätsstiftende Seelsorge und Beratung mit Sitz in Tamm. Als Mitgründer der Gruppe ‚Wüstenstrom’ war Hoffmann in die Kritik geraten. Der Verein betreibe eine Umerziehung von Schwulen und Lesben. Auch als Reaktion darauf hätten Hoffmann und sein Mitarbeiter Stefan Schmidt das Institut gegründet – mit einem bewusst neuen Programm, wie Stefan Schmidt sagt: ‚Wir wollen keine Sexualität therapieren, das geht gar nicht.’ Man wollen ‚Menschen helfen, mit ihrer Sexualität gut leben zu können’, sagt der Sozialarbeiter.“

 

„Wir wollen keine Sexualität therapieren, das geht gar nicht.“ – Das klingt nach Veränderung im Denken – hat sich aber leider auch noch nicht überall herumgesprochen – und so wabbert auch der Geist von „Wuestenstrom“ immer noch durch die evangelikale Szene und einige evangelische Gemeinden in Deutschland. Auch hier wäre es an der Zeit, die Zeichen richtig zu deuten.

 

Übrigens, auch auf der Wuestenstrom-Homepage geschieht anscheinend Veränderung. Als ich Mitte Oktober 2021– Aktualisierung des Artikes* – diese Internetseiten besuchte, landete ich beim "Institut für dialogische und identitätsstiftende Seelsorge und Beratung (vormals wuestenstrom) e.V."

 

Ich denke, es ist dringend notwendig, dass evangelikale Christinnen und Christen die genannten Veränderungen wahrnehmen und akzeptieren und ihr Wissen über Homosexualität und Christsein aktualisieren.

Frank Fischer, April 2015

* aktualisiert März 2023

Manfred und ich (seit 4. Juli 2003 zusammen)


Manfred und ich (seit 4. Juli 2019 verheiratet)


📝 Verstehe ich Dich richtig ...

Foto von Pexels auf Pixabay

Meine Antwort auf eine Mail eines Gemeindemitglieds an mich (März 2016):

Lieber Frank, ich schreibe Dir, weil ich weiß, dass ich Dich über Mail sehr gut erreichen kann. Ich habe drei Fragen nach unserem gestrigen Gespräch:

1. Verstehe ich Dich richtig, dass Du die Mitgliedsaufnahme in die Gemeinde an die Bedingung geknüpft hast, dass die Mitglieder Homosexualität als Identität verstehen sollten, als etwas, dass unaufgebbar zu einem gehört und von daher auch ausgelebt werden kann?

2. Verstehe ich Dich richtig, dass somit gelebte Homosexualität, in ihrer Form der Sexualität, nicht unter die Herrschaft Gottes gestellt werden braucht?

3. Würdest Du für Dich von vornherein ausschließen, dass Gott in Bezug auf Deine gelebte Homosexualität, Veränderungsprozesse einleiten kann, auch wenn Versuche deinerseits vielleicht fehlgeschlagen sind?


Danke für Deine Mail. Es ist gut miteinander zu reden und Dinge klar, verständlich und transparent zu machen. Deshalb antworte ich Dir sehr gerne auf Deine Fragen – erlaube mir bitte, dass ich es sehr persönlich und ausführlich tue, denn ein Ja oder Nein erscheint mir bei der Komplexität nicht angebracht. Mir ist es wichtig, mit Dir – vielleicht am Sonntag – über das, was ich geschrieben habe, zu sprechen – darüber im Dialog zu bleiben, wie Du es verstehst, was es für Dich bedeutet, welche Schlüsse Du daraus ziehst.

1) Du fragst, ob ich meine Mitgliedsaufnahme an Bedingungen, an eine bestimmte Bedingung geknüpft habe. Da muss ich wahrheitsgemäß antworten: Nein! Ich habe nach 10 Jahren Gastsein in Christusgemeinde im Frühjahr 2014 eine so große Sehnsucht verspürt, dass ich mich nach einigen Gesprächen mit Jörg und einigen Gemeindemitgliedern auf das Wagnis eingelassen habe, einen Mitgliedsantrag zu stellen. Ich wollte als Christ zu (m)einer Gemeinde dazugehören und mich mit meiner Zeit, meinem Geld, meinem Glauben und meinen Gaben, die mir Gott gegeben hat, innerhalb dieser Gemeinde einbringen. Für die Entscheidung über meinen Antrag (ich erfülle alle genannten Kriterien, die laut Formular Voraussetzung für eine Mitgliedschaft in die Christusgemeinde sind) habe ich dennoch meine gelebte Homosexualität transparent gemacht, weil ich aufgrund der Kenntnis der evangelikalen Szene nicht unter falschen Vorzeichen aufgenommen werden wollte. Transparent für alle, nachdem mehrere Mitglieder, die von meinem Antrag gehört hatten, mich im Gottesdienst freudig begrüßt hatten mit den Worten: „Endlich Frank, das ist ja super, wir nehmen Dich garantiert bei der nächsten Gemeindeversammlung auf.“ In den ersten Monaten nach Stellung meines Antrags habe ich lange und intensive Gespräche mit der Gemeindeleitung geführt. Dabei ging es immer auch um die Frage, was es praktisch heißt, wenn ich aufgenommen werde.

Im Gespräch habe ich eindeutig und klar gesagt, dass ich mich nicht einer Gemeindeleitung unterstellen kann, die von mir erwartet und fordert,

a) weiterhin gegen meinen homosexuellen Gefühle anzukämpfen und

b) mich nach über 10 Jahren Partnerschaft von Manfred zu trennen.

Denn diese Forderungen erachte ich für mich – aber auch für alle anderen homosexuell empfindenden Menschen, die eine ähnliche Geschichte wie ich haben (ich habe zwanzig Jahre um Veränderung gebeten, mich auf Heilungs-Programme von Wüstenstrom und der OJC eingelassen etc. ) – als unbarmherzig und nicht mehr zumutbar.

Im Laufe des Prozesses haben sich sozusagen diese zwei – wenn Du es so nennen willst – Bedingungen herauskristallisiert. Und aufgrund einiger Gespräche eine dritte Bedingung: Ich kann mich auch nicht einer Gemeindeleitung unterstellen, die mein Christsein wegen meiner gelebten Homosexualität immer wieder in Frage stellt.

Ich habe die von Dir genannte Bedingung, „dass die Mitglieder Homosexualität als Identität verstehen sollten, als etwas, dass unaufgebbar zu einem gehört und von daher auch ausgelebt werden kann“ so nie formuliert, weil es mir nicht darum geht, dass alle Mitglieder dieser Meinung sein müssen, in der Frage dieselbe Erkenntnis haben müssen. Für mich ist es nur wichtig, dass andere mich, meine Meinung, meinen Stand der Erkenntnis in dieser Frage stehen lassen können – und auch andere homosexuell empfindende Christinnen und Christen. Denn: Viele Zig-Tausende homosexuell empfindende Christinnen und Christen (darunter ich) haben in den 1980er, 1990er und 2000er Jahren Gott um Veränderung ihrer Sexualität gebeten und alles dafür getan, frei von Homosexualität zu werden – größtenteils vergeblich. Es war für mich ein sehr schmerzhafter Prozess, nach zwanzig Jahren Kampf zu akzeptieren, dass Gott mich und viele andere nicht verändern zu wollen scheint.

Ja, um es deutlich zu sagen, ich bin mittlerweile davon überzeugt, dass Homosexualität Teil der Kernpersönlichkeit ist – zu meiner Identität wird sie erst, weil andere Menschen mich darauf reduzieren. Meine Identität ist in Christus, durch die Beziehung mit ihm bin ich eine neue Kreatur. Ich hoffe, Du verstehst, was ich meine: mein Umgang mit Geld zum Bespiel, aber auch die Art und Weise wie ich Menschen (seelsorgerlich) begleite, ist nicht von meiner Homosexualität bestimmt, sondern von Jesus geprägt.

2) Ich hoffe, ich verstehe Deine Frage richtig: selbstverständlich – und das habe ich am Sonntag auch gesagt – gehört meine Sexualität wie bei jeder Christin und jedem Christen unter die Herrschaft Gottes gestellt. Es geht darum, meine Form der Sexualität verantwortlich gemäß der Gebote Gottes zu leben – ich habe dieselbe Ethik und Moral wie viele konservative, evangelikale Christen: Es gebt um Liebe, Treue, Verlässlichkeit, Wertschätzung etc. Wenn ich da scheitere, werde ich schuldig und bin auf Vergebung angewiesen.

3) Auf Deine dritte Frage möchte ich Dir in doppelter Weise antworten: Ja, für mich schließe ich es nach all den negativen und positiven Erfahrungen, die ich in den letzten 33 Jahren gemacht habe, momentan aus. Denn es würde für mich bedeuten, dass ich ansonsten meine Partnerschaft sofort beenden müsste. Für Veränderung zu beten und darauf zu hoffen, doch noch von meinen homosexuellen Empfindungen frei zu werden und weiterhin an der Seite von Manfred zu bleiben, wäre ihm gegenüber nicht nur unfair und abscheulich, sondern menschenverachtend. Mich von ihm zu trennen – dazu bin ich nicht bereit. 

Hinter mir liegt ein langer schmerzhafter Prozess, der 2003 dazu geführt hat, meinen jetzigen Weg als homosexuell lebender Christ zu gehen, damit ich nicht meinen Glauben verliere. Und Gott schenkt mir seit 13 Jahren seinen tiefen Frieden dazu, und meine Christusbeziehung, mein missionarisches und diakonischen Handeln sowie meine Persönlichkeit sind wieder aufgeblüht. Denn mein Kampf gegen meine Homosexualität hatte mich mehr und mehr von Christus weggeführt und mich im Innersten mehr und mehr zerstört.

Allerdings gilt für mich auch: Wenn Gott souverän an mir handeln will, dann kann und darf ER das jederzeit. Deshalb kann ich auch wahrheitsgemäß antworten: Nein, ich schließe nicht aus, dass Gott in Bezug auf meine gelebte Homosexualität, Veränderungsprozesse einleiten kann.

Zum Schluss noch einen Satz dazu, warum ich denke, dass X und ich nicht gemeinsam in einer in Gemeinde sein können: Für ihn besteht nicht – so habe ich ihn jedenfalls verstanden – die Möglichkeit, dass Christen bei der Frage des biblischen Befundes zum Thema Homosexualität zu einer unterschiedlicher Erkenntnis kommen – anders als zum Beispiel Michael Diener oder Ulrich Eggers es sagen. Für ihn gibt es – so hat er es mir jedenfalls vermittelt – nur die    e i n e   richtige Erkenntnis. Und zudem hat die Bewertung der Frage für ihn einen sehr exponierten Stellenwert. Daraus leiten sich Forderungen an mich und generell an homosexuell empfindende Christen in der Gemeinde ab, die Konsequenzen haben: Da gelebte Homosexualität niemals zu akzeptieren ist, kann und darf es auch keine Anerkennung als "Notordnung" geben. Ziel muss – siehe letzte Folie von Xs Vortrag – immer und für alle homosexuell empfindenden Christinnen und Christen sein, ein enthaltsames bzw. zölibatäres Leben zu führen oder heterosexuell zu heiraten – mit allen verheerenden Folgen, die das haben kann – und die ich am eigenen Leib und in meinem eigenen Leben erfahren habe.

Für mich hat die Frage nicht diesen Stellenwert und ich kann unterschiedliche Erkenntnisse im Sinne einer Ambiguitätstoleranz gelten lassen.

Soweit einmal für heute, ich freue mich, mit Dir über die Thematik im Gespräch zu bleiben.

 

Gott segne Dich Frank


entwurzelt

Ich kenne die Friedhöfe meiner Heimatstadt genau.

 

Auch anderorts war ich auf vielen Beerdigungen.

 

Auf dem Friedhof der Stadt, in der ich mehr als mein halbes Leben lebe, war ich noch zu keinem Trauerfall.

 

Wohin mit mir, wenn ich sterbe?


              Gerhard Giebener  / pixelio.de


Der große Friedhof im Nachbardorf ist eine grüne Wiese mit sechs versprengten, alten Gräbern - 
so alt, dass niemand weinend mehr nach ihnen schaut. 
Ist Einsamkeit der Grund? 
Die Flucht vom Land? 
Will niemand mehr nach seinem Leben dort noch einen Namen haben? 
Und wird in Zukunft es nur noch im Internet ganz frische Gräber geben?  
Will ich ein Grab und einen Stein – und wenn, für wen? 
Reicht nicht, dass ein paar - dann erwachsene - Kinder an mich sich noch erinnern, und einige - der dann alten- jungen Freunde? 
Soll ich die Amtwort Ihnen überlassen? 
Und wär das fair? 
In was für Zeiten lebe ich, die solche Fragen stellen.  
In meiner Zeit, in der ich gerne lebe in einem Städtchen auf dem Land.

Das Gebet des heiligen Augustinus:
Atme in mir, Du Heiliger Geist, dass ich Heiliges denke.

Treibe mich, Du Heilger Geist, dass ich Heiliges tue.
Locke mich, Du Heiliger Geist, dass ich Heiliges liebe.
Stärke mich, Du Heiliger Geist, dass ich Heiliges hüte.
Hüte mich, Du Heiliger Geist, dass ich es nimmer verliere.


Dieter Schütz  / pixelio.de

Pfingsten – oder versiegelt und bevorschusst  (Epheser 1,3-14)

„Der Heilige Geist verwandelt uns wirklich und will durch uns auch die Welt, in der wir leben, verwandeln“, twitterte Papst Franziskus im April 2013

 

Gott schenkt uns seinen Heiligen Geist – er ist wie ein Siegel und der Vorschuss auf unser Erbe.

 

Zwei Gedanken dazu:

Versiegeln bedeutet rechtlich beglaubigen und bestätigen sowie verschließen, sichern und für andere unantastbar zu machen. Durch Versiegeln kennzeichnet man Eigentum. All das geschieht mit dir, wenn Gott dich mit dem Heiligen Geist versiegelt.

Ein Vorschuss ist etwas, was man vor dem eigentlichen Stichtag bekommt – eine Vorauszahlung, auf das, was man einmal bekommen wir. Wo in modernen Bibelübersetzungen „Vorschuss“ steht, steht in älteren das Wort „Pfand“ oder „Unterpfand“, also etwas, das als sicheres Zeichen, als Garantie für etwas, als Beweis, als eine Bestätigung dient.